ALPC - Agenda - 2003/01R2
Ethos und Professionalität – ein Berufsbild für Heilpädagoginnen/en
(Vortrag bei der Länderfachtagung im Schengener Schlass, Luxemburg 26.September 2003)
Zur Geschichte der Heilpädagogik
Vor gut 20 Jahren schrieb Luise Rinser in einem ihrer Bücher: „Die Dinge die gefunden werden wollen, die entdecken sich selber". Der Berufsverband der Heilpädagogen (BHP e.V.) ist seit seiner Gründung auf einer Entdeckungsreise, zum Teil im kollegialen Gespräch, im wissenschaftlichen Dialog und im gesellschaftspolitischen Streitgespräch. Warum?
Weil es zu seinen Aufgaben gehört die Heilpädagogik als professionelles Handeln im jeweiligen gesellschaftlichen Kontext darzustellen und die Weiterentwicklung dieser Profession zu begleiten.
Auf dieser Entdeckungsreise gibt es einige Elemente die immer wieder wie Leuchttürme oder Eckpfeiler als Wegmarken auffallen, auf diese will ich nun hier in meinem Vortrag eingehen. Diese Wegmarken sind eng mit der Geschichte und den Menschen verbunden, die einst und heute die Heilpädagogik repräsentieren. Ende des 18.Jahrhunderts gab es zunehmend Ansätze in der Behindertenhilfe, diese systematisch zu gestalten und weiter zu vermitteln. Damals ging es vor allem um Hilfen für blinde, körperbehinderte und taubstumme Menschen. Bei Pestalozzi (1746 – 1827) finden wir historische Wurzeln von Heilpädagogik und Sozialpädagogik, die dann von Menschen wie Jan Daniel Georgens (1823-1886), Heinrich Marianus Deinhardt (1821-1880) weitergeführt wurden und letzterer führte den Begriff Heilpädagogik ein. Man kann nachlesen: „Die Heilpädagogik im Ganzen ist ein Zweig der allgemeinen Pädagogik", allerdings ist sie auch ein „Zwischengebiet zwischen Medizin und Pädagogik". Nun könnte ich hier noch auf Paul Moor (1899 – 1977), Heinrich Hanselmann (1885 – 1960), Asperger und die heutigen Päpste Kobi, Speck etc... eingehen, doch gehe ich davon aus, dass ich damit hier bei diesem Fachpublikum „Eulen nach Athen" tragen würde. Zusammenfassend kann man festhalten: „Heilpädagogik ist jene Sparte der Pädagogik, welche sich mit .... beeinträchtigen Erziehungsverhältnissen beschäftigt" (Kobi).
Aktuelle Erwartungen an Heilpädagogen/innen
Wenn wir uns nun in unserer heutigen Welt umschauen, dann merken wir, dass Fach und Spezialwissen sehr wichtig sind und unverändert wichtig bleiben. Jeder Träger einer Einrichtung, aber auch jeder Selbständiger muss die Effizienz seiner Arbeit und seiner Angebote gegenüber Kollegen, Freunden und Konkurrenten unter Beweis stellen. „Unternehmen stellen Persönlichkeit, Einstellungen und Werthaltungen ihrer Mitarbeiter zunehmend in den Vordergrund. Je komplexer die Aufgaben und Probleme werden, um so mehr besteht die Notwendigkeit nach Lösung in der Gruppe: Soziale Kompetenz, Kommunikations- und Kooperationsfähigkeit werden damit immer wichtiger." Und an einer Stelle ist nachzulesen: „Formale Bildungsabschlüsse sind nach wie vor wichtig, sie garantieren allein und für sich genommen jedoch keinen erfolgreichen Werdegang mehr. Es wird immer deutlicher, dass für eine gelingende Biographie zunehmend personale Fähigkeiten von Bedeutung sind."
Ethisch-Antropologische Forderung
Wenn wir nun diese Aussagen, die sich vornehmlich als Anforderung an junge Schulabgänger richten in den Berufsalltag von sozial engagierten Menschen umsetzen, dann werden wir entdecken, wie wichtig die Aussagen sind, die vom BHP e.V. in seinem Berufsbild festgehalten wurden. Die Heilpädagogin von heute hat es nicht leicht, ihr Handeln und vor allem das Wirken ihres Handelns an Dritte zu vermitteln. Das „Heilende" gekoppelt mit der Pädagogik ist der Hinweis auf die Wirkung: es geht darum dem Menschen beizustehen und ihm Erziehung, Förderung, Entwicklungs- und Lebensbegleitung anzubieten. „Zugrunde liegt eine ethisch-antropologische Überzeugung der unauflöslichen Einheit körperlicher, geistiger, seelischer und sozialer Dimensionen, die sich in jedem einzelnen Menschen auf individuell einzigartige und gleichwertige Weise konkretisieren." Diese ethisch-antropologische Überzeugung war in den vergangenen Jahren leichter und einfacher zu definieren, heute erfordern unsere neuen Freiheiten, dass jeder einzelne Mensch zu seinem „Planungsbüro der eigenen Biographie" wird.
Zum Ethos der Heilpädagogen/innen
Die Heilpädagogin ist ebenso wie alle anderen Bürger Europas gefordert sich in einer spürbar globaler denkenden Welt zu identifizieren und dabei soviel an eigener Identität zu erkennen, dass sie in ihrem beruflichen Alltag weiterhin eine interpersonelle, kommunikativ verfaßte Praxis gemeinsames Lebens, Arbeitens, Lernens und Spielen anbieten kann. Die Begegnungen mit den jungen, den kranken und behinderten, den alten und vernachlässigten Menschen führen zu Erwartungen an uns, die wir oft nur schwer erfüllen können. Denn nicht nur Methoden und Praktiken zum Auskurieren eines Defizites werden gefragt, sondern die Menschen – und nicht nur unsere hilfebedürftigen Klienten – wollen von uns mehr. Denn je mehr Freiheit es gibt, desto mehr Orientierungswissen und desto mehr Moral sind notwendig, damit der Einzelne eigenverantwortliche Entscheidungen des Gewissens treffen kann. Die fast tabulose Gesellschaft konfrontiert ihre Bürger mit sehr vielen Reizen und Zumutungen, so dass es nicht mehr so ohne weiteres möglich ist, darzulegen was denn nun gut und was nun schlecht ist. Und es gibt nicht sehr viele Menschen die bereit sind, nach konkreten Antworten zu suchen und zu forschen. Und oft bleibt uns auch keine Zeit um nach Antworten zu suchen, da wir nach dem „Red-Astair-Prinzip" arbeiten müssen: Man muss überall dort sein wo es brennt! Dies gilt vor allem für Heilpädagoginnen in Institutionen, die Antworten geben müssen, ohne dass sie die Zeit bekommen die eigentliche Frage zu hören und zu verstehen. Dieses Handlungsprinzip hat aber nichts mehr mit dem Ethos und dem Berufsbild der Heilpädagogen zu tun, sondern erwächst aus einem Anforderungskatalog unserer sozialen Systeme, den wir seit den 60er Jahren beobachten können. Unsere freie Gesellschaft bringt es mit sich, dass die Lebensläufe offener geworden sind. Die große Vielfalt an Optionen bedeutet für den Einzelnen, sich ständig neu zu orientieren, selbst Ziele auszuwählen und immer wieder entscheiden zu müssen. Dies erzeugt für viele Menschen – und nicht nur für Kinder und Jugendliche – eine Unübersichtlichkeit, Unsicherheit und sogar richtige Ängste. Sehr beeindruckend erlebe ich die derzeitigen Studien über die Lehrer, Erzieher und Psychologen aus denen hervorgeht, dass sie unsicher sind und zweifeln ob sie noch klare Verbote und Gebote aussprechen und Werte vermitteln dürfen und ob sie selbst konsequent das durchtragen können was sie von anderen fordern. Der schwindende Einfluss von offiziellen Instanzen (Eltern, Schule u.ä.) auf die Erziehung der Kinder und die vielfältige Konkurrenz der Medien, Jugendkulturen u.ä. lassen uns zuleicht vergessen, dass es gerade die Eltern sind, die immer noch als wichtigste Berater von ihren Kindern gelten und auch Lehrer noch sehr als Ratgeber in Lebensfragen geschätzt werden. Diese Entwicklungstrends werden sich durch die wachsende Weltoffenheit weiter ausbreiten und die internationalen Verflechtungen (zb. In der Medienwelt) und die rasant zunehmende Informationsvielfalt dynamisieren den Wandel unserer Gesellschaften. Auf diesem Hintergrund ist es für uns alle sehr interessant, wie wir heute den Behinderungsbegriff definieren und wie wir ihn wohl morgen festlegen werden. Für die Heilpädagogen ist die Behinderung eine Herausforderung in Form einer pädagogischen Aufgabe – immer an der Maxime festhaltend, dass wir den Menschen als unteilbares Ganzes betrachten und würdigen! Und hier ist meiner Meinung nach ein deutlicher Unterschied zu anderen Professionen zu sehen die den Menschen aufgrund seiner Veranlagungen, seiner Behinderungen und seiner Fähigkeiten in Kategorien einlagern und dementsprechend mit seinen einzelnen Teilen umgehen. Dies mag begründet sein in der notwendigen Spezialisierung einzelner Berufe, wie zb. der Fachärzte und der vielen besonderen Therapeuten für Hör- oder Sehgeschädigte, traumatisierte und lernunfähige Kinder, etc. Die Heilpädagogen sind verpflichtet, diese Professionen und ihr Tun zu respektieren, im Umgang mit dem beeinträchtigten Menschen jedoch wissen sie, dass jedes menschliche Subjekt zunächst selbst versucht mit seinen Problemen und Schwierigkeiten fertig zu werden. Den objektiven Tatbestand der Behinderung gibt es nicht (!), formuliert der BHP. Was im Einzelfall als Behinderung gilt, ist eine pragmatische Bestimmung mit dem Zweck, benachteiligten Menschen die notwendige Hilfe zukommen zu lassen. Es bleibt leider ein grosses Dilemma, dass nur derjenige Hilfe bekommt, den man als „behindert" einstufen kann. Das heilpädagogische Handeln im Sinne von Entwicklungsförderung und –begleitung stellt sich auf dieses Erschwernis ein und will es zusammen mit den betroffenen Personen bewältigen.
Heilpädagogik ist ein personales Angebot
Das personale Angebot der Heilpädagogen stützt sich auf eine Professionalität, die dazu beiträgt, dass die Verwirklichung personaler und sozialer Integration von Menschen mit Behinderungen und Entwicklungsbeeinträchtigungen verwirklicht wird. Die Heilpädagogen sind somit fast täglich aufgefordert nach Antworten zu suchen auf Fragen wie:
wer bin ich als Heilpädagoge / Heilpädagogin?
Was ist für mich wichtig?
Wofür stehe ich ein?
Und aus der persönlichen Haltung, der anthropologischen Einsicht, der erlernten wissenschaftlichen Theorie u.v.m. müssen Heilpädagogen sich dazu bekennen, dass die Würde eines jeden Menschen unantastbar ist. Wir stehen dafür ein, dass der junge oder alte Mensch dem wir begegnen kein Zufallsprodukt genetischer Entwicklung ist, sondern er ist mit all seinen Stärken und Schwächen, seinen Leistungen und Fehlleistungen, seinen Vorteilen und Nachteilen ein Mensch mit einer ihm eigenen Würde die niemand verletzen darf! Im heutigen Kontext müssen wir zusätzlich betonen, dass auch derjenige der nutzlos erscheint eine ihm eigene Würde hat für die wir uns einsetzen, denn unsere aller Wertigkeit wird schon seit langem an dem gemessen was wir den Staat, die Krankenkassen etc.. kosten, bezw. was wir den Warenhäusern, der Kleidungsindustrie usw.. einbringen – und das ist für uns Menschen inhuman!
„Die Welt ist kein Betriebsunfall und kein Chaosunternehmen, kein Irrenhaus und kein Irrgarten!" Sieht man auf die Fakten unseres beruflichen Handelns, dann ist dies eine gewagte Aussage, denn manchmal geht es wirklich drunter und drüber – und doch: für uns Heilpädagogen muss ein roter Faden, eine Orientierung erkennbar sein und die beginnt damit, dass „die Würde des Menschen (ungeboren – lebendig – tot) unantastbar ist!". Das Ethos unseres Handelns hat unterschiedliche Wurzeln und auch die Motivation zur Aufnahme der Ausbildung oder des Studiums sind sehr unterschiedlich. Im Rahmen unserer Ausbildung sind wir dann sicher auf die vorne erwähnten Theorien der heilpädagogischen Persönlichkeiten gestossen und konnten uns mit der einen oder anderen Theorie über den Sinn unseres Handelns anfreunden. Und heute wissen wir, nach einigen Jahren der Berufserfahrung, dass die Wirksamkeit unserer heilpädagogischen Arbeit sowohl von individuellen als auch von institutionellen Faktoren abhängt. Die individuellen Faktoren sind die Heilpädagogin und der Heilpädagoge als Person, denn der Erfolg der heilpädagogischen Maßnahme hängt wesentlich mehr von ihrer Persönlichkeit und ihrem Erziehungsstil ab als von den speziellen heilpädagogischen Verfahren, Techniken und Messungen. In Anlehnung an Siegfried Uhl wage ich folgenden Thesen:
Gute Heilpädagogen zeichnen sich nebst vielen anderen Eigenschaften durch die folgenden vier Merkmale aus:
Die institutionellen Bedingungen kann man zwar hier nicht alle aufführen, doch gibt es einige Merkmale die wesentlich die Qualität der heilpädagogischen Arbeit bedingen:
Ethischer Leitgedanke: Die Würde des Menschen
Damit die Würde des Menschen weiterhin unantastbar bleibt, brauchen wir die eben genannten Aspekte eines heilpädagogischen Handelns um u.a. zu verhindern, dass wir oberflächlich und routinemäßig handeln. Viele der geforderten Merkmale sind nicht akademisch zu vermitteln. Wir brauchen Räume wo wir uns begegnen können mit anregenden und anspruchsvollen Milieus in denen heilpädagogisch relevante Fragen und Wertefragen diskutiert werden, damit wir unsere Haltung gegenüber dem Menschen reflektieren können. Die Auseinandersetzung mit den Kollegen, mit den uns anvertrauten jungen und alten Menschen, deren Angehörigen, aber auch mit Fachfremden ist wichtig und notwendig. In diesen Auseinandersetzungen spüren wir die enorme Spannung zwischen Ethos und Berufsalltag, spüren wir die Diskrepanz zwischen der wirtschaftlichen Realität und dem tatsächlichen Bedarf an Zuneigung, Hilfe und Begleitung von Menschen mit einer Behinderung. Der Ethos der Heilpädagogik sorgt für Zündstoff in den Diskussionen um die Bildungspläne, vor allem dann, wenn wir feststellen können, dass Schulen und Einrichtungen nach Kriterien des Rationalismus und Intellektualismus ausgerichtet werden sollen. Es ist falsch zu glauben, dass die Vernunft, die intellektuellen Fähigkeiten und ein rationales Denken allein genügen um Menschen zu erziehen oder zu begleiten. Wir brauchen den Dreiklang von Vernunft, menschlicher Zuneigung und Verankerung in positiven Werten um die benachteiligten und behinderten Menschen bei ihrer möglichst optimalen Entwicklungs-reifung zu unterstützen und um ihnen die Einnahme von einem gleichberechtigten Platz in unserer Gesellschaft zu ermöglichen. Bei diesem Prozess zeigt sich ein Teil der Professionalität der Heilpädagogen in einer schrittweisen Weitergabe von Verantwortung an diejenigen die um Hilfe nachgesucht haben. Dieses Loslassen durch den betreuenden Heilpädagogen ist ein Ausdruck vom Verständnis der heilpädagogischen Hilfe: wir geben nur soviel wie nötig, da wir uns als Assistenten in einem Reifungsprozess verstehen, der vom Hilfeempfänger selber gestaltet wird. Dies war das Novum, das Pestalozzi, Don Bosco, Hanselmann, Asperger, usw... setzten: der Mensch mit seiner Behinderung bleibt immer und überall Protagonist des pädagogischen Prozesses! Und diese von mir eben erwähnte Professionalität stellt eine Alternative zu jenen Therapieangeboten dar, die durch ihre Defektorientiertheit nicht weiterkommen, weil sie ihr Klienten nicht als die eigentlichen Gestalter des Erziehungs- und Heilungsprozesses akzeptieren.
Assistenz und Anwaltschaft
Diese Einstellung ist in einer Haltung verankert, die den Heilpädagogen fremd ist, da sie in ihrer Haltung einen Ethos zum Ausdruck bringen, welcher sich nicht in einfache Formeln oder in ausdrücklichen Methoden fassen läßt. Die heilpädagogische Haltung ist ein Qualitätsstandard, den man nur schwer vermitteln kann. Für seine anstehende Bundesfachtagung in Bad Lauterberg im November dieses Jahres hat der BHP sich die Überschrift gegeben: Erfahrung, Wissen und Kompetenz ergeben „Heilpädagogik als Assistenz und Anwaltschaft". Und wenn man die einzelnen Überschriften zu den Fachbeiträgen liest spürt man, dass das Ethos der Heilpädagogen sich darin ausdrückt, wie sie den Menschen als unteilbares Ganzes betrachten und behandeln und immer durch den Dialog mit dem ratsuchenden und/oder hilfebedürftigen Menschen bereit sind, das Prozedere der heilpädagogischen Maßnahme immer wieder neu zu entwickeln. Für die Heilpädagogik ist jede Auffälligkeit eine Aufforderung zum Dialog, da sie erfahrungstheoretisch und wissenschaftlich begründet davon ausgeht, dass jedes menschliche Subjekt zu einer Weiterentwicklung fähig ist. Es ist ein „herrschaftsfreier" Dialog der zwischen den Beteiligten stattfindet, ohne zu „amikalisieren" und zu „verkumpelisieren". Der Heilpädagoge weiss um die Bedeutung seiner reflexiven Distanz, die er benötigt um fachlich gut und menschlich fair zu arbeiten. Diese Fähigkeit ist es, die seine Professionalität unterstreicht mit welcher er immer wieder versucht zu prüfen und für wahr zu halten ob das was er tut oder anbietet für den Hilfebedürftigen hilfreich und richtig ist. Nebst seiner wissenschaftlichen Basis benötigen alle die sich der Heilpädagogik verschreiben wollen ein profundes Maß an Selbstvertrauen und Selbsterfahrung. Meines Erachtens müsste der gesamte Ausbildungsprozess für zukünftige Heilpädagogen noch deutlicher die Selbsterfahrung einfordern. Dies sage ich aufgrund meiner Praxiserfahrungen, denn als Heilpädagoge sind wir alle fast pausenlos herausgefordert unsere eigene Persönlichkeit hinterfragen zu lassen und oft in der Versuchung unsere autoritären Anteile dominieren zu lassen. In diesem Zusammenhang bin ich froh, dass es die Verbände der Heilpädagogen gibt, die durch ihre Angebote eine Kollegialität über den Berufsalltag hinaus schaffen und für ihre Mitglieder die Möglichkeit des Austausches, der Reflektion und er menschlichen gegenseitigen Unterstützung bereit halten.
Das sozialpolitische Engagement
Zum Abschluss meiner Ausführungen komme ich noch auf eine wichtige Dimension des Berufsbildes von Heilpädagogen zu sprechen, die sich aus der Professionalität und dem Ethos unseres Berufes ergibt. Als Heilpädagogen sind wir keine freischaffenden Künstler, sondern wir sind Erziehungswissenschaftler indem sie sich u.a. selbstkritisch mit traditionellen Begriffen und neuen Erkenntnissen aus den Fachdisziplinen der Pädagogik, Medizin, Psychologie, Theologie, usw. auseinandersetzen. Ich gehe davon aus, dass es nie die endgültige Lehre und Anwendung der Heilpädagogik geben wird, da sie sich mit den Menschen weiterentwickelt, ähnlich wie die Gesellschaften in denen wir leben Fragen stellt und nach Antworten sucht. Die Heilpädagogik ist Teil unserer jeweiligen Lebensgesellschaft und setzt sich wo immer möglich ein, damit die Benachteiligten und die Menschen mit einer Behinderung angenommen und aufgenommen werden. In der aktuellen Debatte in Europa wo die Polarisierungen zwischen Alt und Jung, Behindert und Nicht Behindert, Frau und Mann, Islam und Christentum, Reich und Arm, Homosexuell und Heterosexuell, EU-Bürger und Drittstaatler, Gymnasiast und Sonderschüler, ... in Gesetzen gegen die Diskriminierung von Menschen münden beginnt sich der Werteverfall von einzelnen Gesellschaften anzukündigen und die Haltungen werden durch wirtschaftliche Belange und Prinzipien ersetzt. In unserer Gesellschaft werfen wir viel zu schnell etwas weg: Schuhe, Kleider, Brot, -- Menschen! Hier bekommen wir Heilpädagogen als Menschen und die Heilpädagogik als Wissenschaft eine neue Herausforderung indem wir unser Mandat ernst nehmen und uns, ausgehend von unserer ethisch-anthropologischen Grundüberzeugung, für die Belange der Schwächeren anwaltlich einsetzen. Das ist vielleicht eine erschreckende Aufforderung in einer Zeit wo man uns predigt ruhig und brav zu sein. Es ist nicht wahrlich nicht leicht, aber es ist so wie es schon Chinesen vor sehr vielen Jahren erlebt haben und von denen der Spruch stammt: Wenn der Wind des Wandels weht, bauen die einen Mauern, die anderen Windmühlen!
Ich bin fest davon überzeugt, dass wir als Heilpädagogen weiterhin gebraucht werden und bin froh, dass wir unsere Verbände haben, die uns den Rückhalt und die Zuversicht geben, dass keiner von uns alleine steht.
Dank und Schlussgedanke
Ich danke Ihnen für das Zuhören, verweise zum Schluß auf die weiterführenden und fundierteren Schriften des BHP zu meinem Vortragsthema und erlaube Ihnen jetzt noch einen guten Rat mit auf den Weg zu geben, den Bernhard von Clairvaux, dem Gründer von Himmerod in der Eifel, der vor 850 Jahren verstarb dem damaligen Papst Eugen III mit auf den Weg gab:
„Ich fürchte, dass Du, eingekeilt in deine zahlreichen Beschäftigungen, keinen Ausweg mehr siehst und deshalb deine Stirn verhärtest; dass Du Dich nach und nach des Gespürs für einen durchaus richtigen und heilsamen Schmerz entledigst.
Es ist viel klüger, Du entziehst Dich von Zeit zu Zeit Deinen Beschäftigungen, als dass sie Dich ziehen und Dich nach und nach an einen Punkt führen, an dem Du nicht landen willst. Du fragst, an welchen Punkt? An den Punkt, wo das Herz hart wird. Frage nicht weiter, was damit gemeint ist; wenn Du jetzt nicht erschrickst, ist dein Herz schon so weit ... Ja, wer mit sich selbst schlecht umgeht, wem kann der gut sein?
Denk also daran: Gönne Dich Dir selbst. Ich sage nicht: tu das immer, ich sage nicht: tu das oft, aber ich sage: tu es immer wieder einmal. Sei wie für alle anderen auch für dich selbst da, oder jedenfalls sei es nach allen anderen."
Jean-Paul Muller SDB
Strässchensweg 3
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