Beim Friseur
Der
Höhepunkt der Woche sollte für mich, meine Mutter und meine Tochter
am Freitag
ein
Friseurbesuch sein. Nicht bei einem Haarschneider meines Vertrauens, sondern
bei Paulo,
dem
Genialen, der nur noch an zwei Tagen in der Woche arbeitet. Paulo ist der
Geheimtipp
einer
Bekannten, die sich nach
jahrelangem Dahinfristen als graues Mäuschen durch einen
Paulo-Haarschnitt
zur wahren Schönheit entwickelt hat.
Morgens
um 9 Uhr rief meine Tochter, deren französisch besser ist, als meins, in
dem Salon
um den
Termin für meine zwischenzeitlich an Grippe erkrankte Mutter abzusagen.
Dieses mit einem
einzigen
Satz „Guten Tag, ich möchte den Termin für meine Oma
absagen“ durchzuführende Vorhaben
dauerte
exakt eine Viertelstunde.
„Wie
heissen Sie?“
„Marie-Jeanne.“
„Und
was soll bei Ihnen gemacht werden?“
„Haare
schneiden und Strähnchen.“
„Wer
soll das machen?“
„Paulo!
Aber ich wollte nur den Termin für meine OMA absagen. Die ist leider krank
geworden.“
„Paulo
macht keine Strähnchen, der schneidet nur. Wer macht bei Ihnen die
Strähnchen?“
„Das
weiss ich nicht. Ich will nur den Termin für meine OOOOMA absagen,
okay?“
„Wie
heisst Ihre Oma?“
„Madeleine
S.“
„Madeleine
S? Und was soll bei der gemacht werden?“
„Gar
nichts, sie kann nicht kommen, weil sie krank ist.“
„Ja,
ja, aber wenn sie gekommen wäre, was wäre dann gemacht worden?“
„Moment
mal, ich frage meine Mutter. Mami, wenn Omi gekommen wäre, was wäre
dann
gemacht worden?“
Ich
zucke zusammen und starre fassungslos meine Tochter an. „Was ist denn das
für ein deutsch??
Das
heisst, wenn Omi kommen würde und nicht gekommen wäre! Sag der Dame
am Telefon, dass
Omi
krank ist und deshalb nicht kommen würde“
„Das
habe ich schon gesagt, aber die will wissen, was……gemacht
würde….?....“
„Haare
schneiden und Strähnchen und färben.“ sage ich zu meiner
Tochter.
Sie
wiederholt das am Telefon.
„Strähnchen
UND Färben? Bei wem sollen die Strähnchen gemacht werden? Und wer
färbt?“
fragt
die Dame am Telefon.
„Woher
soll ich das wissen?“ antwortet meine inzwischen genervte Tochter.
„Ich will nur den
Termin
absagen!“
„Sie
haben drei Termine. Für Marie-Jeanne, für Madeleine und für
Sunny. Welchen wollen Sie absagen?“
„Den
für Madeleine!“
„Den
für Madeleine?“
„JA!
Hab ich doch gesagt!“
„Bei
Madeleine soll geschnitten werden,
Strähnchen UND Färben? Oder NUR Strähnchen?“
„Strähnchen
UND Färben!“
„Hier
steht aber nichts von Färben. Sind Sie sicher, dass bei Madeleine auch
gefärbt werden soll?“
„Ja,
aber Madeleine kann nicht kommen.
Sie ist krank! Sie hat die GRIPPE!“
„Ach
so, sie hat die Grippe. Aber wenn sie gekommen wäre, dann wären nur
Strähnen
gemacht worden, weil hier nichts von
Färben steht! Färben steht bei Sunny.“
„Nein,
Sunny bekommt nur Strähnen. So wie ich. Nur Madeleine sollte Färben
und Strähnen kriegen.“
„Ah,
ich verstehe. Dann streiche ich den Termin für Sunny. Sunny will keine
Haare färben, richtig?“
„Nein,
Sunny will nur Strähnen und Haare schneiden.“
„Wer
schneidet bei Sunny die Haare?“
„Paulo“
„Paulo?
Ich denke, der schneidet bei Madeleine die Haare?“
Einige
Stunden später: Der Friseursalon befindet sich im edleren Teil der Fussgängerzone.
In der
ersten Etage, direkt über einer meiner Lieblingsboutiquen. Also allerbeste
Adresse.
Durch
eine Glastür gelangen wir in den Salon und mein erster Gedanke: Hilfe, ich
glaub ich bin im
falschen
Film!
Schmutzig,
chaotisch, wie bei Hempels unter´m Sofa. Auf dem Glastisch, der neben der
Wartecouch
steht, befindet sich eine dicke Staubschicht. Auf dem Boden liegen überall
Haare.
Die
Grünpflanzen verdorrt mit welken Blättern. Löcher und Risse in
den Ledersitzen.
Ein
giftig aussehender Zwerg mit schulterlangen, fettigen Locken und drei Tage Bart
keift uns an:
„Was
wollen Sie hier?“
Na
danke, mir reicht´s.
„Wir hätten einen Termin gehabt, aber…..“
versuche ich in bestem französisch
und
drehe mich um Richtung Ausgang. Tochter krallt sich an meinem Pelzmantel fest
und faucht:
„Mami,
häng Dein Nagetier an den Haken
und komm. Jetzt gibt es die Traumfrisur!“
Lieber
Himmel, mein schöner Mantel hängt an einem rostigen Haken! Ich bin
gefrustet. Erst recht, als
sich
rausstellt, dass es sich bei dem Zwerg um Paulo handelt!
„Wer
hat Sie geschickt?“ keift Paulo.
„Äh……“
herje, jetzt fällt mir der Name von Nicole nicht ein.
„Eine
Bekannte“ sage ich.
„Wie
heisst die?“ will Paulo wissen.
Oh nein,
nicht schon wieder dieses Frage und Antwortspiel.
„Nicole“
sagt meine Tochter. Was hat das Kind doch für ein gutes Gedächtnis!
„Woher
kennen Sie Nicole?“ fragt Paulo.
„Wir
sind im gleichen Club“ kläre ich ihn auf. Und nun scheint er milde
gestimmt.
Wir
dürfen uns endlich setzen. Auf weinrote Ledersessel, die voller
Haarschnipsel sind. Dann bekommen
wir
einen schwarzen Kittel um, auch voller Haare. In meinem befindet sich auch noch
ein grosses Brandloch,
was mich
sofort daran erinnert, einen Aschenbecher zu erbitten. Ein ausgeblichenes
schwarzes Handtuch mit
ausgefranstem
Rand wird um unsere Schulter drappiert.
In dem
Salon arbeiten noch zwei
homosexuelle Männer und vier magersüchtige junge Frauen.
Antonia,
die mir
die Strähnchen macht, hat oben nur noch vier Zähne, und lacht die
ganze Zeit. Sie trägt ein knappes
Top,
eine schwarze Hüfthose und da
drunter eine Perlonstrumpfhose, die bis in die Taille reicht.
Einer
der beiden Männer hat ein hellrosa Strickjäckchen an, dazu hellblaue
Jeans. Mir ist aufgefallen, dass er
böse
und neidische Blicke auf meine Tochter warf, die ebenfalls hellblaue Jeans
anhatte und dazu ihr nagelneues
Designer-Strickjäckchen
trug. Irgendwie bin ich froh, dass er nicht Paulo ist……
Im Laufe
der nächsten Stunden kam die gesamte „Szene“ vorbei, lauter bildhübsche
Italiener (es ist ein ital. Salon)
die sich
Küsshändchen zuwarfen und „ciao Bello“ säuselten.
Irgendwann bekam ich auch meinen erwünschten
Aschenbecher.
Innen pechschwarz von Asche. Was bedeutet, dass der schon seit Wochen nicht
mehr abgewaschen
wurde.
Endlich
hatte auch Paulo mal Zeit für uns. Wünsche äussern, Fragen
stellen? Nix da!Angewidert durchwühlte
er mit
den Händen meine Haare und meinte nur: „ Es ist Zeit für einen
neuen Schnitt!“
„Lieber
Gott, beschütze mich“ betete ich schnell. „Aber nicht kurz!“ konnte
ich noch verschüchtert krächzen,
bevor er
mit seinem kleinen, roten Plastikkamm und der Nagelschere loslegte.
Dann war
Tochter dran. Diesmal bekamen Paulos Augen einen verzückten Glanz.
„Tolle Haare, da kann man
was
draus machen. Und dieses Gesicht……..“ Nun lobte er mein Kind,
wie hübsch sie sei und und und….
Ja, und
dann hat er sich doch tatsächlich mit seiner Dolce und Gabana Hose auf den
dreckigen Boden gekniet
um sein
Wunderwerk bei meiner Tochter von unten zu begutachten!
240 Euro
hat mich der Spass insgesamt gekostet. Mein Kind ist zufrieden und sieht echt
total süss aus mit dem
Zottelschnitt.
Ich muss mich an meine Frisur erst noch gewöhnen, vorne lang, hinten kurz,
sehr pflegeleicht
Mein
General war jedenfalls begeistert, zumindest am Anfang, als ich noch brav in
Form geföhnt habe. Aber es
gab
schon Tage, wo ich nur oberflächlich bei der Sache war und dann musste ich
mir anhören: „Du siehst aus wie
ein
gerupftes Huhn!“ Wen wundert´s, bei einem
Nagelscheren-Rupfschnitt???
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