Kirchenerlebnis
Ich gehe selten in die Kirche, aber
manchmal muss es sein.
Der Pfaffe gehört quasi zur Schwieger-Familie und darum muss ich mich
alle Jubeljahre mal in dem
Gotteshaus sehen lassen. Damit ich nicht so ganz
unten durch bin bei den
Betschwestern und Brüdern.
Der Pfaffe predigt wie gewohnt in schönster Monotonie vor sich hin.
Die Gemeinde sitzt, steht auf,
dreht den Stuhl rum, kniet sich drauf, steht wieder auf,
dreht den Stuhl in Sitzposition,
setzt sich wieder. Manche knien sich ehrfurchtsvoll
auf den Boden. Die Alten kommen
nicht gut hoch. Sie ächzen und stöhnen, brauchen Hilfe.
Zwischendurch bekreuzigt man sich
oder singt. Und die Kinder? Die langweilen sich.
Zumindest die ca. 2jährigen.
Deshalb laufen sie mit ihren Nuckelflaschen im Mund durch die
Kirche. Gehen durch die Reihen und
gucken sich Leute an, spazieren zum Altar, ziehen
hier am Tischtuch und da an der
Blumendekoration. Oder sie ziehen sich gegenseitig an den
Haaren während der Pfaffe von
friedlichem Miteinander predigt.
Neben mir ein kleines Mädchen, das gerade ihren Spaziergang beendet hat.
Höchstens zwei
Jahre alt. Die wenigen,
weissblonden Haare zu zwei winzigen Zöpfchen mittels Frottegummi hochgebunden.
Die Zöpfchen stehen aufrecht wie
zwei Hörner. Die Kleine hat dunkelblaue Strumpfhosen an,
einen blauen Faltenrock, einen
weissen Pullover und ein rosa Lätzchen, da sie die meiste Zeit aus
ihrem Fläschchen trinkt und
sabbert. Weil sich das Kind langweilt, nachdem es mehrere
Kirchenrundgänge gemacht hat,
bekommt es von der Mutter einen Malblock auf den Stuhl gelegt
und einige lange Filzstifte in die
Hand gedrückt. Das Milchfläschchen wird auf die obere Stuhlkante gestellt,
wo normalerweise das Gesangsbuch
seinen Platz hat.
Nun fängt das kleine Mädchen an zu
malen. Sie hält in der rechten Hand den Malstift, in der linken
drei weitere Stifte. Während sie
das Blatt Papier voll kritzelt, ruckelt sie an dem Stuhl, so dass die
gut gefüllte Milchflasche ins
Wanken gerät und ihr auf den Kopf fällt. Boing!
Das Mädchen richtet sich auf, schaut erstaunt erst nach rechts, dann nach links
und dann empört nach oben,
zur hohen Decke der Kirche.
Ich sehe, was sie denkt! "He,
Du da oben! Was soll´n das? Spinnst Du? Warum wirfst Du mir was
auf den Kopf?" Dann verzieht
sich ihr Gesicht zu einer wütenden Grimasse. Sie schmeisst erst den
Malstift in hohem Bogen weg. Dann
die anderen Stifte, die sie in der linken Hand hält hinterher.
Danach fegt sie das Blatt Papier
vom Stuhl und schaut wieder zur Kirchendecke: "So, das hast Du nun
davon, lieber Gott. Jetzt mal ich
Dir kein Bild mehr!"
Dachte es, stampfte einmal wütend
mit dem Fuss auf und setzte ihren Rundgang durch die Reihen fort.
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